Kunstpreis 2012

01. Jänner 2012 bis 31. Dezember 2012

Ausstellung:
Markus Bacher, Sarah Decristoforo, Romana Fiechtner, Ursula Groser, Rosmarie Lukasser, Andrea Lüth, Bernd Oppl, Christoph Raitmayr, David Rych, Gregor Sailer

  • Heimatinsel, 2012 Mixed media ca. 135 × 60 cm
  • Ohne Titel, 2007 Mixed media ca. 200 × 200 cm

Christoph Raitmayr

Christoph Raitmayr gestaltet mithilfe unterschiedlicher Versatzstücke aus Architektur, Design und Kunstgeschichte komplexe „Erinnerungsräume“, die sowohl persönliche als auch kollektive Themen reflektieren. Als Projektionsfläche dienen ihm Miniaturmodelle von Architekturen oder Möbeln, die er mit Fotografien kombiniert und auf bühnenartigen Sockelkonstruktionen zueinander in Beziehung setzt. Seine Arbeitsweise zeichnet sich durch formale Strenge aus, die jedoch Spielraum für hintergründige Ironie und Brüche lässt.

In den Installationen von Christoph Raitmayr nimmt die Auseinandersetzung mit dem Modellhaften als Veranschaulichung abstrakter Konzepte eine zentrale Rolle ein. Seine minimalistisch reduzierten Häuser- und Siedlungsmodelle thematisieren unterschiedliche soziologische und gesellschaftliche Entwürfe, wobei diese durch ein vielschichtiges System an Verweisen und Assoziationen spielerisch gebrochen bzw. überhöht und somit auch kritisch hinterfragt werden. In einer Arbeit aus dem Jahr 2007 (Ohne Titel) kontrastiert er Fotografien von Gemälden des niederländischen Landschaftsmalers Meindert Hobbema (1638 – 1709) mit Architekturmodellen von Gerrit Rietveld und spitzt so den Topos der die Natur überwindenden Moderne ironisch zu. Dieser Arbeit stellt Raitmayr die Installation My America (2007) gegenüber, für die er Modelle prototypischer US-Häuschen mit entsprechenden Bildern aus amerikanischen Fremdenführern kombiniert. Aber auch das Modell der perfekten amerikanischen Bilderbuchstadt als Gegenentwurf zur rationalen Moderne bleibt in seiner Künstlichkeit ambivalent, eine Illusion.

Die von Christoph Raitmayr aus Pappe gebauten Miniaturen referieren oftmals Ikonen der modernen Architektur, wobei eindeutige Vorbilder wie die Gebäude des niederländischen Architekten Gerrit Rietveld oder des Österreichers Ernst Plischke einer zunehmenden Anonymisierung und Profanisierung der modernen Formensprache weichen. Von der Utopie zur kleinbürgerlichen Wohnkultur ist es nur ein Katzensprung.

In seiner prämierten Arbeit mit dem Titel Heimatinsel erweitert Raitmayr den historischen Bezugsrahmen um ein autobiografisches Moment. Auf einer Sockellandschaft präsentiert er neben einem typischen Einfamilienhaus der Nachkriegsmoderne das Modell eines Segelschiffes. Ergänzt wird das Ensemble durch die Reproduktion eines holländischen Stadtlandschaftsbilds aus dem 17. Jahrhundert sowie zwei Porträtabbildungen. Es entspannt sich ein komplexer Assoziationsbogen, der vom Goldenen Zeitalter der Niederlande bis in unsere Zeit reicht und zwei Lebensmodelle gegenüberstellt. Das Reihenhaus kann als Synonym für Sesshaftigkeit, aber auch für die gediegene Langeweile einer kleinbürgerlichen Wohlstandsgesellschaft gelesen werden. Wohlstand signalisiert auch das Segelschiff; gleichzeitig steht es seit der Romantik als Symbol für Aufbruch und das Streben nach Abenteuer und Freiheit. Ein Bild, in das sich im Hinblick auf die Unerreichbarkeit dieser Ideale für viele auch Sehnsucht und Fernweh mischen. Über diese kollektive Erzählung legt Christoph Raitmayr sein persönliches Koordinatensystem: Bei dem Hausmodell handelt es sich um sein Elternhaus. Hier hing, als Reproduktion aus einem Buch ausgeschnitten, das Gemälde der niederländischen Grachtenstadt. Die Porträts dürften Vorfahren sein und das Schiff steht stellvertretend für den Vater, der als Kellner auf einem Frachtschiff arbeitete. So verweben sich die einzelnen Elemente von Raitmayrs Heimatinsel zu einer dichten autobiografischen Reflexion.

Karola Kraus, Direktorin mumok
museum moderner kunst stiftung ludwig wien