Kunstpreis 2014

01. Jänner 2014 bis 31. Dezember 2014

Ausstellung:
Maria Bichler, Anna-Maria Bogner, Heidi Holleis, Michael Kargl, Matthias Krinzinger, David Rych, Michael Strasser, Esther Strauß, Johanna Tinzl, Nicole Weniger und Hannes Zebedin.

  • Solitaire | Before und After, 2012 Fine Art Print, 120 × 140 cm
  • Solitaire | Before und After, 2012 Fine Art Print, 120 × 140 cm

Michael Strasser

Wie aus Zeit und Raum gerutscht, harrt ein kleines, unauffälliges Bauernhaus alt und baufällig einer ungewissen Zukunft. Sein Standort im slowenischen Serdica, im österreichisch-slowenischen Grenzgebiet, dem heutigen Naturpark Raab, signalisiert ein nicht unbedeutendes politisch-kulturelles Spannungsfeld. Dergestalt begegnet uns das Gebäude auf einer großformatigen schwarzweißen Fotografie, ergänzt um eine zweite, die einen langgestreckten skulpturalen Block zeigt, bestehend aus fein säuberlich geordneten Bestandteilen eben jenes Hauses.

Dazwischen liegen nicht weniger als 68 Tage im Sommer 2012, an welchen Michael Strasser das einhundertjährige Gebäude, seit dreißig Jahren nicht mehr bewohnt, Schindel für Schindel, Balken für Balken zerlegte und sämtliche seiner Bestandteile zu einem nicht begehbaren Block wieder zusammensetzte. Bei diesen Arbeiten sammelte der Künstler Spuren der ehemaligen Bewohner, wie etwa ein verblichenes Foto, Münzen oder eine Taufurkunde. In Anlehnung an Otto Friedrich Bollnows Raumanthropologie entzog Michael Strasser dem Gebäude seinen Raum und transformierte dessen Funktionen in eine Materialsammlung elementarer architektonischer Bestandteile. Die Metamorphose des Hauses lenkt die Rezeption nicht nur auf die Vergangenheit eines spezifischen Gebäudes und einen Lebensabschnitt seiner Bewohner, sondern stellt existentielle Fragen nach der Vergänglichkeit. Was bleibt? Sind es die Materialien? Die Erinnerungen der Bewohner und Passanten? Oder die eindrucksvolle Präsenz eines skulpturalen Volumens?

Auch in anderen Arbeiten der letzten Jahre arbeitete Michael Strasser mit vorgefundenen architektonischen Bestandteilen oder Elementen der Innenausstattung, die ihre Funktion erfüllt hatten und einer Erneuerung Platz machen sollten. In der Installation Mann an Mann (2014, Wien) „befreite“ er zwei massive Holzbalken aus der Decke eines Abbruchhauses und platzierte sie vertikal im Raum als magische Chiffren der Funktionslosigkeit. In wall to wall (2010, London) löste der Künstler alte Teppichbeläge und warf sie zu autonomen skulpturalen Gebilden auf, welche die Räume physisch und psychisch umdeuteten.

Allen Arbeiten gehen sorgfältige Recherchen der räumlichen und historischen Situationen voraus. Michael Strasser begibt sich auf Spurensuche, analysiert die Geschichte der Orte, von deren unspektakulärer Gewöhnlichkeit ein roher Charme ausgeht. Die von ihrer Funktion befreiten Materialien transformiert der Künstler zu skulpturalen Findungen eindrucksvoller physisch-psychischer Präsenz. Sie steuern die Wahrnehmung vom materiellen Raum in einen immateriellen der Erinnerung. Dort verknüpft sich die „Biografie“ der Materialien mit übergeordneten Fragen nach Erinnerung und Gedächtnis. Indem die Installationen unterschiedliche Formen des Wohnens fokussieren, sind elementare menschliche Bedürfnisse angesprochen, die den Arbeiten ihre Relevanz verleihen, zumal in einer Zeit dramatischer Schnelllebigkeit und Veränderung.

Markus Stegmann
Dozent Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel