Kunstpreis 2010

01. Jänner 2010 bis 31. Dezember 2010

Ausstellung:
Christian Egger, Renate Egger, Herbert Hinteregger, Annja Krautgasser, Roland Maurmair, Sandra Li Lian Obwegeser, Bernd Oppl, Ben Pointeker, Thomas Riess, Heidrun Sandbichler, Michael Schrattenthaler, Michael Strasser, Johanna Tinzl, Hannes Zebedin

  • Le Madison Lesson 1-3, 2009 Annja Krautgasser PAL, 16:30 min., Stereo, Farbe
  • Romanes, 2010 Annja Krautgasser, PAL, 16:15 min., Stereo, Farbe

Annja Krautgasser

oder einen Moment zu erzeugen, der gewisse Ergebnisse unkontrollierbar macht *

SB: Du hast auf den ersten Blick zwei sehr unterschiedliche Videoarbeiten für den diesjährigen RLB-Preis eingereicht. Le Madison Lesson 1-3 (2009/10, Video PAL, 16:9, stereo, 16:20 min) und Romanes (2009, Video PAL, 16:9, stereo, 16:30 min). Die Einreichung von Videoarbeiten unterstreicht deine konsequente Haltung als Medien-Konzeptkünstlerin. Kannst du die zwei Werke aus deiner Sicht kurz erläutern und auf die „Schnittmenge“ deiner Überlegung heraus erklären, warum die Arbeiten letztendlich sehr charakteristisch für dein Gesamtwerk stehen?

AK: Die Intervention Le Madison, die ich 2009 als Kunstintervention in Amsterdam aufgeführt hatte, zeigt ein Tanz-Happening, bei dem im Kunstraum W139 ein Re-Make der bekannten Tanzszene aus dem Filmklassiker Bande à part (Jean-Luc Godard, 1964) reinszeniert wurde. Dazu wurden bereits im Vorfeld über einen „Open-Call-for-Participation“ Teilnehmer aufgerufen, um an einem bestimmten Abend jenen Gemeinschaftstanz im Setting eines Videoshootings aufzuführen. Die Teilnehmer konnten über den Zeitraum von 3 Wochen über You-Tube-Lektionen den Tanzschritt einstudieren. Le Madison Lesson 1-3 zeigt nun jene Tanz-Lektionen, die den sogenannten „Line Dance“ in drei Abschnitten vermitteln. Formal ist das Videomaterial an klassische Schulungsvideos angelehnt, die ich auf YouTube recherchiert und untersucht hatte.
Stellt Le Madison Lesson 1-3 für mich eine Arbeit mit starkem filmischen Bezug und performativen Praxen dar, so handelt es sich bei dem Video Romanes um eine politische Arbeit. Im Rahmen einer Ausstellung in Rom, bei der es um das Thema „Ausgrenzung“ ging, wollte ich mich mit der prekären gesellschaftlichen Situation von Roma-Jugendlichen in Italien beschäftigen. Meine Idee war, den Teenagern einen Video-Workshop anzubieten, in welchem sie eigenständig mit kleinen HD-Kameras experimentieren konnten, wobei bereits im Vorfeld mit den Jugendlichen vereinbart wurde, dass ich das Material, das sie innerhalb des Workshops produzieren, als Ausgangsmaterial für die Videoarbeit Romanes verwenden darf. Im Gegenzug wurden die Sanyo-HD-Kameras am Ende des Workshops den Teenagern überlassen. Im Wissen darum, dass ihr Material in einer Ausstellung zu sehen sein wird, nützten die Jugendlichen die Gelegenheit, ihre Situation innerhalb des Camps zu thematisieren und aufzuzeigen. Das Material, das ich von den Teenagern zurückbekam, war erstaunlich präzise inszeniert und mit zahlreichen Interviews versehen, in denen sie sich gegenseitig über die Lage im Camp interviewt hatten. Die Fragen und Antworten, die hierbei gestellt wurden, waren klar und eindrucksvoll.
Aber um nochmals auf deine Frage der Gemeinsamkeiten innerhalb meiner Arbeiten zurückzukommen. Vielleicht könnte man jenen Zugang in meiner Arbeit – indem ich gewisse Faktoren und Parameter „offenlasse“ bzw. an die Beteiligten „abgebe“ – als eine solche Gemeinsamkeit herausstreichen. Diese Herangehensweise findet sich bereits in meinen frühen abstrakten wie auch strukturellen Arbeiten wieder. Ich würde aber auch behaupten, dass sich dieser Aspekt in den letzten Jahren verstärkt bzw. sich dieser innerhalb der filmischen Inszenierungen verstärkt heraus- entwickelt hat. Obwohl den beiden Videoproduktionen (Le Madison und Romanes) sehr konkrete Rahmenbedingungen und Vorgaben zugrunde lagen, war es mir dennoch ein wichtiges Anliegen, gewisse Entwicklungen innerhalb des Projektverlaufs abzugeben. Genau diesen Zustand – nämlich einen Moment zu erzeugen, der gewisse Ergebnisse unkontrollierbar macht – findet man in beiden Projekten wieder.

SB: In den Anfängen deiner Karriere positioniertest du dich an der Schnittstelle Medienkunst und Bildender Kunst. Es war ein abstrahiert-konzeptueller Produktionsanspruch und die Ergebnisse verdichteten sich in komplexe, clipartige „Audio-Visionen“. Ich erinnere mich auch an die Arbeit aus dem Jahre 2004 im Kunstraum Innsbruck  – Dashed –, eine raumsoziologische Studie zum Thema Gedächtnisraum. Hingegen die prämierten Videoarbeiten der Gegenwart gehen mehr ins Narrative, Filmische und stehen für soziales Engagement mit künstlerischen Mitteln. Vor der Umsetzung deiner „sozialen Interaktionen“ sind meist längere Recherchearbeiten notwendig. Ist dies eine Art Reifeprozess? Werden wir in Zukunft mehr Filme von Annja Krautgasser sehen? Oder Dokumentarfilme in Spielfilmlänge?

AK: Richtig. Ich habe mich über die letzten Jahre in meiner Arbeit stark verändert, was meiner Meinung nach auf mehreren Ebenen stattgefunden hat und nun in verschiedenen Ausformulierungen sichtbar wird. Neben einem starken Interesse für sozial- und gesellschaftspolitische Themen, wie es etwa in Romanes wiederzufinden ist, arbeite ich zurzeit auch gerne mit filmtheoretischen Bezügen und Verweisen – wie in Le Madison geschehen. Weitere Aspekte und Methoden, die seit ein paar Jahren in meine Arbeit einfließen, ist z. B. das Vermischen von Formaten, wie etwa das Überlagern von filmischen, performativen oder konzeptionellen Elementen. Aber auch das Einbeziehen, Thematisieren und Inszenieren von Ausstellungs- und Produktionsmechanismen innerhalb eines Projektes finde ich äußerst verlockend.
Den Schritt weg von der Abstraktion hin zu einer, wie du sagst „narrativen bis filmischen“ Herangehensweise würde ich so erklären, dass für mich das abstrakte Bild über die Jahre an Aussagekraft verloren hat. Möglicherweise habe ich aber auch einfach die Scheu davor verloren, konkrete Themen zu bearbeiten und Position zu beziehen. Da man aber als Künstler/Künstlerin ohnedies ständig in Veränderung und Weiterentwicklung ist bzw. auf aktuelle Einflüsse und Gegebenheiten eingehen will und reagiert, glaube ich, dass für die Zukunft vieles offen ist. In welche Richtungen sich die Arbeiten in den nächsten Jahren weiterentwickeln werden, ist für mich schwer vorherzusehen. Prinzipiell hat sich für mich das Medium Video aber sehr gut bewährt und so gesehen spricht nichts dagegen, weiterhin mit dem Format Video zu arbeiten. Mich an einen Dokumentarfilm in Spielfilmlänge zu wagen, wird aber sicher noch etwas dauern. Es wäre aber auf jeden Fall eine Herausforderung.

*E-mail-ping-pong_ Annja Krautgasser vs. Stefan Bidner_May 2010_www.