Kunstpreis 2006

01. Jänner 2006 bis 31. Dezember 2006

Ausstellung:
Friedrich Biedermann, Gerhard Diem, Thomas Feuerstein, Nicole Jausz, Annja Krautgasser, Barbara Larcher, Bernhard Mayr, Gregor Neuerer, Stephan Pirker, Raimund Pleschberger, Lukas Schaller, Michaela Schwarz-Weismann, Renée Stieger, Michael Strasser, Patricia Tschen

  • Interludium, 2004 16mm Film (Stills)

Renée Stieger

Die performative Kunst von Renée Stieger umfasst ein weites Spektrum: Stieger singt, sie ist Musikerin, spielt Instrumente, schreibt Stücke, wobei sie zumeist auch die Ausstatterin ihrer Inszenierungen ist, und sie arbeitet mit Film und Video, um diese Medien spezifisch als strukturelle Elemente ihrer performativen Auseinandersetzung einzusetzen.

In Stiegers Kunst geht es um alltagskulturelle Phänomene, denen sie sich oft mit einer Strategie der mythischen Brechung annähert. Sie arbeitet mit Versatzstücken, wie Kinderliedern, der Bauernstube, dem gefeierten Opernstar, oder dem Wohnzimmer - der Sphäre des Vertrauten und Privaten -, dem scheinbar institutionalisierten Ort für die Konstruktion von (weiblicher) Identität.

Für ihre Musik setzt Stieger, die sich seit 15 Jahren auch SiRenée nennt, neben ihrer Stimme Alltagsgegenstände wie Haartrockner oder eine Handkurbelsirene ein. Für die Vertonungen ihrer Videoarbeiten verwendet sie Alltagsgeräusche, auch Sprache, die bewusst unverständlich gehalten sein kann, oder sie montiert eine Opernarie ein, die die Szene symbolisch überlagert.

Renée Stieger, die faszinierende, wandelbare Protagonistin ihrer Performances, macht ihren Körper, ihre physische Erscheinung zum sinnlichen Medium ihrer vielschichtigen „Stücke“. Die Haut kann dann zur malerischen Trägerfläche für Farbe oder die Hand wie ein skulpturales Objekt behandelt werden, das sie mit einer Nadel real durchbohrt („Zeit heilt alle Wunden“, 1998).

Stiegers Arbeiten „... ergo sum“ (2005) und „Interludium“ (2004) zeigen jede auf spezielle Weise, wie die Künstlerin sich der Medien Film und Video bedient, um ihre Themen, die von Subjektivität, von der Vielschichtigkeit und Labilität der Begriffe Identität und Identifikation handeln, durchzuspielen. In beiden Arbeiten beruht Stiegers Strategie darauf, die inhärente Spiegelfunktion von Fotografie oder Film zum Einsatz zu bringen, um deren Illusionismus zugleich zu unterlaufen.

„... ergo sum“ besteht aus drei nebeneinander montierten Sequenzen, die sich zu einem scheinbar einheitlichen Raumbild zusammenschließen und in denen jeweils eine Frau zu sehen ist - die Künstlerin selbst in unterschiedlichen Aufmachungen. Diese drei Frauen sind um einen Tisch gruppiert, auf der linken und rechten Seite im Profil, in der Mitte von vorne zu sehen, wobei die Person in der mittleren Sequenz nur auf einem TV-Gerät präsent ist, gleichsam als Fernsehgast live zugespielt wird. Die Frauen diskutieren miteinander über ihre Stimmungen und Befindlichkeiten, um schließlich gemeinsam Lieder zu singen. Mit einer nicht unironischen Note verdichtet Stieger in „... ergo sum“ ihre Infragestellung der imaginären, identifikatorischen Einheit von Subjekt und Abbild, die mit der Homogenität von Zeit und Raum gekoppelt ist.

Das Video „Interludium“ ist ein Film mit digitaler Nachbearbeitung und bezieht seine konzeptuelle Pointe aus dem Dispositiv „positiv – negativ“, das Stieger hier metaphorisch einbringt, nämlich im Zusammenhang mit einem Verfahrensprinzip des Films selbst. Zu sehen ist der Ausschnitt eines Wohnzimmers mit einer jungen Frau, und zwar in der Negativversion eines Filmes, in der die Farben umgekehrt sind. Haut erscheint dann blau, Blau erscheint in Orangetönen und Schwarz als Weiß. Die Frau entdeckt einen hautfarbenen Fleck auf ihrem Dekolleté und beginnt diesen abzuwischen, was zur Folge hat, dass sich scheinbar unerklärlich die Farbe des Flecks über alle Hautflächen ausbreitet und die Frau schließlich insgesamt eine „positive“ Hautfarbe aufweist. Diesen Effekt erzielt Stieger dadurch, dass sie ebenfalls einen Umkehrvorgang macht, indem sie real nicht etwas entfernt, sondern sukzessive auf alle freien Hautstellen etwas aufträgt – blaue Farbe, die eben im Negativ hautfarben wirkt.

Renée Stieger weiß um die „al/chemischen“ (Peggy Phelan) Prozesse, die das Verhältnis von Sehen und Gesehen-Werden und den Effekt „positiv – negativ“ im Kontext der modernen Medienindustrie kennzeichnen. Die scheinbare Garantie, die die Verdoppelung – im Spiegel oder in der Fotografie bzw. im Film – dem Subjekt für seine Identität gewährt, ist eine strukturelle Täuschung. Um diese Ambivalenz geht es in Stiegers Kunst, die Wahl ihrer Mittel:
„ Die Ästhetik ist für mich neben der Handlung Träger des Inhalts des Werkes, niemals nur Verpackung. Die Vereinigung aller Faktoren ist ein erotischer Prozess, etwas, das unter die Haut geht“ (Renée Stieger) 1.

Anmerkung
1 Renée Stieger im Gespräch mit Silvia Höller; in: S. Höller, Hg., Katalog sieben positionen, RLB Kunstbrücke, Innsbruck 2005, S. 40-41.


Silvia Eiblmayr, Direktorin der Galerie im Taxispalais, Innsbruck