Kunstpreis 2008

01. Jänner 2008 bis 31. Dezember 2008

Ausstellung:
Ursula Groser, Florian Hafele, Christoph Hinterhuber, Ina Hsu, Daniel Nikolaus Kocher, Andrea Lüth, Ursula Mairamhof, Peter Niedertscheider, David Rych, Lukas Schaller, Annette Sonnewend, Herwig Weiser

  • Amerika Haus, 2007 Kunstdruck auf Fotopapier, 59.4 x 84 cm Aus der Serie »Where the present turned to past / signifiers of recently expired narratives«
  • Muqataa, 2007 Kunstdruck auf Fotopapier, 59.4 x 84 cm Aus der Serie »Where the present turned to past / signifiers of recently expired narratives«

David Rych

David Rych ist ein polymedialer Künstler im weitesten Sinn. Seine Forschung und künstlerische Praxis umfasst Themenkreise der kulturellen Identität sowie der ökonomischen und sozio-politischen Transformation. Insbesondere seit dem Ende seiner Studien in Wien, Jerusalem und Marseille arbeitet er zumeist in Zusammenarbeit mit anderen KünstlerInnen an Dokumentarfilmen, Installationen und interaktiven Webprojekten, in denen er sich mit der politischen Geschichte und den kulturellen Aktivitäten in den arabischen Ländern (Utopia Travel, 2000–2004), der Waffenproduktion und Kriegsindustrie (Missileman; The War Room, 2005), Fragen des Arbeitsmarktes, der Arbeitslosigkeit und der Situation der Flüchtlinge (Sans Papiers; XPONA, 2004) ebenso auseinandersetzt wie mit der Geschichte der Tiroler Kolonie in Brasilien (Konturen einer Heimat, 2007).

In der 2007 begonnenen Arbeit „Where the present turned to past / signifiers of recently expired narratives“ fotografiert der Künstler vorwiegend in Berlin, wo Rych zurzeit lebt und arbeitet, aber auch in anderen Städten und Ländern signifikante Gebäude oder anderweitige architektonische Gegebenheiten und Monumente, die in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit eine symbolische oder politische Bedeutung innehatten, diese jedoch im Verlauf der Geschichte wieder eingebüßt haben. Zu einer fortlaufenden Serie großformatiger Kunstdrucke auf Fotopapier zusammengefügt, reflektiert diese somit den Wandel politischer Systeme und beschäftigt sich mit der Festschreibung historischer Bedeutung an bestimmten Orten.

Die in der Serie u. a. gezeigten Gebäude und Monumente stehen somit für bestimmte politische Haltungen und Ideologien, die der Künstler mittels einer Art „Bildatlas der Geschichte“ wiederum in das Zentrum des Bewusstseins rückt. So diente z. B. das (neue) „Amerika-Haus“ in der Hardenbergstraße 22–24 in Berlin-Charlottenburg, das 1957 von der United States Information Agency besiedelt und betrieben wurde, gleichsam als Aushängeschild für das (be)frei(t)e Westberlin. Diese wurde bereits 1953 mit dem Ziel gegründet, das Bild Amerikas im Ausland zu gestalten und zu vermitteln. Die ursprünglich freundschaftliche Stimmung, die das Haus in den ersten Jahrzehnten umgab, erfuhr in der zweiten Hälfte eine allmähliche Änderung und schlug ab 1968 mit militanten Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg in ihr Gegenteil um. Von diesem Zeitpunkt an wurde das Bild des „Amerika-Hauses“ von Polizei, Kontrollen und Zaun-Systemen beherrscht. Dies verschärfte sich nochmals mit dem Beginn des Irak-Krieges 2003. Hinter Barrikaden verschanzt, wurde die vormals aktive und hilfreiche Institution ihrer Vitalität beraubt: 2006 übergaben die Amerikaner das Bauwerk der Stadt Berlin.

Eine ebenfalls bedeutende Rolle im Ostteil Berlins spielte der 1975/76 erbaute Palast der Republik. Am Schlossplatz (von 1951-1994 Marx-Engels-Platz), einem Teil des Geländes des ehemaligen Berliner Stadtschlosses auf der Spreeinsel im Ortsteil Mitte errichtet, beherbergte er bis 1994 nicht nur die Volkskammer der DDR, ein Teil davon wurde zugleich auch als ein volksoffenes Kulturhaus genutzt. Aufgrund der zentralen Lage und der geschichtlichen Bedeutung sowohl des Schlosses als auch des Palastes ist die Gestaltung des Schlossplatzes seit der Wiedervereinigung Inhalt intensiver Diskussionen. Seit dem Februar 2006 wird der Palast schrittweise abgerissen.
Ein historisches „Relikt“ und einen Ort der Erinnerung in Berlin bilden auch die zum Großteil noch erhaltenen Reste der ehemaligen „Berliner Mauer“, wie z. B. jene entlang des Spandauer Schiffskanals, wo von 1945 bis 1990 die Berliner Sektorengrenze entlang eines Teils des Kanals verlief. Dadurch wurde das östliche Ufer durch den Mauerbau zum Sperrgebiet ausgebaut. Nach dem Fall der Mauer sind deutlich mehr und großteils längere Teilstücke von dieser Mauer abseits der großen Bauvorhaben erhalten geblieben, während in der dicht bebauten Berliner Innenstadt die Mauerstreifen und -reste sowohl durch die kommerzielle Verwertung und Vermarktung der Mauer als auch durch die rasch erfolgte Bebauung bereits sehr schnell einer Nachnutzung zugeführt wurden.

Mit „Muquataa“ schließlich, dem letzten hier in die Auswahl aufgenommenen Motiv aus der Serie, dehnt der Künstler seine politische Bestandsaufnahme auf aktuelle Konfliktherde und Kriegsschauplätze im Vorderen Orient aus. Das Motiv zeigt den 2002 zerstörten Teil eines ca. 1 km großen Gebäudekomplexes in Ramallah (Westjordan), der bis November 2004 dem damaligen Palästinenser-Präsidenten Jassir Arafat (1929–2004) als Hauptquartier und Amtssitz diente. Von „Mukata“ (arab. „Bezirk“, aber auch „Hauptquartier) abgeleitet, wurde dieser Bezirk nach dem Friedensabkommen von Oslo 1993 zum Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde ernannt und stellt somit einen militärischen Bereich dar. 2007 in die Serie mit aufgenommen, macht David Rych nicht nur den Wandel des politischen und öffentlichen Lebens bewusst, sondern zeigt auch, wie rasch ehemals bedeutende historische Monumente zu oftmals beziehungs- und damit scheinbar geschichtslosen Momentbildern der Vergangenheit verkümmern. Seine fotografischen Dokumentationen sind somit aktuelle Bilder der Erinnerung, mit denen er diesem Prozess auf äußerst unspektakuläre Weise künstlerisch entgegenwirkt.


Günther Dankl
Leiter der Modernen Galerie am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck